Simone Fischer Rechtsanwältin
Simone FischerRechtsanwältin

Verwaltungsgericht Minden, Beschluss vom 22.10.2024, Az.: 2 L 926/24.

Orientierungssatz


1. Eine partielle Vorwegnahme der Hauptsache durch einstweilige Verpflichtung zur Erteilung einer Fahrerlaubnis scheidet auch dann aus, wenn die von der Fahrerlaubnisbehörde erlassene Gutachtenanordnung rechtsfehlerhaft ist, zur Beurteilung der Fahreignung aber dennoch eine ärztliche oder medizinisch-psychologische Untersuchung geboten ist. (Rn.28)


2. Für die Beurteilung, ob eine nicht fernliegende verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs i.S.d. FeV Anlage 4 Nr. 9.2.1 gegeben ist, ist nunmehr der in StVG § 24a Abs 1a festgelegte Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum maßgeblich. (Rn.46)


3. Cannabismissbrauch i.S.d. FeV Anlage 4 Nr. 9.2.1 ist nicht bereits bei schädlichem Gebrauch anzunehmen; d.h. wenn durch den Konsum bereits eine Schädigung der körperlichen oder psychischen Gesundheit eingetreten ist, ohne dass bereits eine Abhängigkeit vorliegt. (Rn.48)


4. Ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot (bei wenigstens gelegentlicher Cannabiseinnahme) dürfte unter Geltung des neu eingefügten FeV § 13a Nr 2 Buchst a Alt 2 FeV für sich genommen nicht mehr die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen. (Rn.70)


5. Das mit der Einfügung der FeV § 13a verfolgte gesetzgeberische Anliegen, die fahreignungsrechtlichen Regelungen bei einer Cannabisproblematik weitestgehend an die fahreignungsrechtlichen Regelungen bei einer Alkoholproblematik anzugleichen, würde konterkariert, wenn im Rahmen des FeV § 13a S 1 Nr 2 Buchst a Alt 2 bereits der gelegentliche Cannabiskonsum in Kombination mit einem einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot schon bei einer THC-Konzentration im Blutserum von 3,5 ng/ml die (zwingende) Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach sich zöge. (Rn.80)


6. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass es im Hinblick auf Cannabiskonsum nicht möglich sein soll, auf Missbrauch hindeutende Zusatztatsachen jenseits eines einmaligen Verstoßes gegen das Trennungsgebot (bei wenigstens gelegentlichem Konsum) zu definieren. (Rn.96)


7. Bei Erfüllung einer der Tatbestandsvarianten der FeV § 13a S 1 Nr 2 ist die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens als gebundene Entscheidung vorgesehen und mithin zwingend; ein Ermessensspielraum kommt der Behörde insoweit nicht mehr zu. (Rn.113)


Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.


Gründe
1 A. Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,


2 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig eine Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L zu erteilen,

 

3 bleibt ohne Erfolg.


4 Der Antrag ist zulässig, insbesondere als auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung gerichteter Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft, aber unbegründet.


5 Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u. a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vorliegen. Deren tatsächliche Voraussetzungen müssen zwar nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen, aber hinreichend wahrscheinlich ("glaubhaft") sein (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anordnungsgrund besteht, wenn eine vorläufige gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, weil ein Verweis auf das Hauptsacheverfahren aus besonderen Gründen unzumutbar ist. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller in der Hauptsache bei summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg haben wird.


6 Ist der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann nur in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.


7 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 6 VR 3.13 - NVwZ-RR 2014, 558 = juris, Rn. 5 m.w.N. - Seite 2 von 17 -

 

8 Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist.


9 Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 7. Februar 2024 - 11 CE 23.2313 -, juris, Rn. 10, m.w.N.

 

10 Der Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L vorläufig wieder zu erteilen, ist auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet.

 

11 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Januar 2015 - 16 B 1374/14 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Februar 2024 - 11 CE 23.2313 -, juris.


12 I. Der Antragsteller hat jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).


13 Dem Antragsteller dürfte die Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit neu zu erteilen sein.


14 Maßgeblich für die Beurteilung des von dem Antragsteller verfolgten Begehrens der (vorläufigen) Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.


15 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. März 2021 - 3 C 3.20 -, juris, Rn. 12.


16 Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 13. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1980), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 16. August 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 266), gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung.


17 Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16. August 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 266) geändert worden ist, setzt die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die jeweilige Klasse unter anderem voraus, dass der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Dies ist gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG und § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn er die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Mangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV dazu berechtigt oder sogar verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen.


18 Das Vorliegen der Fahreignung wird von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Die Fahreignung ist im Zweifelsfall vom Bewerber nachzuweisen. Die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht zu seinen Lasten. Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen.


19 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2017 - 16 E 132/16 -, juris, Rn. 40; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Februar 2024 - 11 CE 23.2313 -, juris, Rn. 13; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Juli 2015 - 10 S 116/15 -, juris, Rn. 19; Dauer: in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 2 StVG Rn. 29, 41.


20 Vorliegend kann dahinstehen, ob die fehlende Fahreignung des Antragstellers bereits positiv feststeht, weil er das von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 5. Juni 2024 verlangtemedizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hat (1.), denn es dürften jedenfalls noch nicht ausgeräumte Eignungszweifel vorliegen, die mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abzuklären sein dürften (2.).


21 1. Ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache ist im Rahmen eines auf die vorläufige Erteilung einer Fahrerlaubnis gerichteten Antrags nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zunächst dann zu verneinen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde von dem Fahrerlaubnisbewerber im Wiedererteilungsverfahren zu Recht die Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangt und dieser das Gutachten nicht beigebracht hat.


22 Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 16. Oktober 2023 - 11 CE 23.1306 -, juris, Rn. 13, m.w.N.


23 Denn als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß den §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auch denjenigen Fahrerlaubnisinhaber ansehen, der sich weigert, bei der Aufklärung zu befürchtender Eignungsmängel mitzuwirken, der insbesondere einer zu Recht ergangenen Aufforderung zur Beibringung des von der Fahrerlaubnisbehörde geforderten Gutachtens nicht nachkommt, indem er sich entweder schon der Begutachtung nicht unterzieht oder aber nach erfolgter Begutachtung das Gutachten nicht fristgerecht vorlegt. Mit der Beibringungsaufforderung ist ein Verfahren geschaffen, das, wenn der Betroffene der Aufforderung nicht nachkommt, zur Fiktion der Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV führt.


24 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 3 C 20.15 - juris, Rn. 28.


25 Im Falle der Nichtvorlage eines Gutachtens kann die Fahrerlaubnisbehörde aber nur dann gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, wenn die Anordnung, das genannte Gutachten beizubringen, rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist, und für die Weigerung, das Gutachten vorzulegen, kein ausreichender Grund besteht.


26 Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 -, juris; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 - 3 C 13.01 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 10. November 2009 - 16 B 1181/09 -, n. v.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar,47. Auflage 2023, § 11 FeV, Rn. 51 m. w. N.


27 Ob die Gutachtenanordnung vom 5. Juni 2024 in jeder Hinsicht rechtmäßig war und die Antragsgegnerin deshalb zu Recht nach § 11 Abs. 8 FeV von der Nichtvorlage des Gutachtens auf die fehlende Kraftfahreignung des Antragstellers geschlossen hat, ist hier nicht entscheidungserheblich.


28 2. Denn eine partielle Vorwegnahme der Hauptsache durch einstweilige Verpflichtung zur Erteilung einer Fahrerlaubnis scheidet auch dann aus, wenn die von der Fahrerlaubnisbehörde erlassene Gutachtenanordnung rechtsfehlerhaft ist, zur Beurteilung der Fahreignung aber dennoch eine ärztliche oder medizinisch-psychologische Untersuchung geboten ist. Denn in diesem Fall könnte der Antragsteller im Hauptsacheverfahren selbst bei einer rechtswidrigen Gutachtenanordnung nur einen Anspruch auf Neubescheidung durchsetzen. Dieser Neubescheidung hätte wiederum eine ordnungsgemäße Gutachtenanordnung vorauszugehen. Da das Gutachtenergebnis nicht prognostizierbar ist, könnte eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Bestehens des geltend gemachten Anordnungsanspruchs nicht festgestellt werden.


29 Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Januar 2014 - 10 S 1748/13 -, juris, Rn. 7, 10; Bay. VGH, Beschluss vom 16. August 2018 - 11 CE 18.1268 -, juris, Rn. 16.


30 Zur Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers dürfte nach der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine medizinisch-psychologische Begutachtung geboten sein.


31 Die Notwendigkeit der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens dürfte sich aus § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV in der Fassung des Gesetzes vom 16. August 2024 (BGBl. I Nr. 266) ergeben.


32 Nach § 13a Satz Nr. 2 a) Alt. 2 FeV in der ab dem 22. August 2024 gültigen Fassung ordnetdie Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen.


33 Die Vorschrift wurde durch Art. 14 Nr. 1 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz - CanG) vom27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) eingefügt und mittlerweile durch Art. 2 Nr. 1 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 16. August 2024 (BGBl. I Nr. 266) geändert.


34 Während nach altem Recht § 14 FeV in der bis zum 1. April 2024 gültigen Fassung Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV a.F.) bzw. eines medizinischen-psychologischen Gutachtens (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F.) war, dürfte der neu eingefügte § 13a FeV als lex specialis zu § 14 FeV diese Aufklärungsmöglichkeiten der Fahrerlaubnisbehörde im Hinblick auf Eignungszweifel aufgrund einer Cannabisproblematik (ausgenommen die Verwendung von Cannabis als Arzneimittel) nunmehr abschließend regeln.


35 Vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom 21. Februar 2024, BT-Drucks.10426/29, S. 150 f.


36 Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (im Folgenden: Anlage 4 zur FeV) liegt ein Cannabismissbrauch vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs nicht hinreichend sicher getrennt werden können.


37 Ein solcher Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot liegt vor, wenn Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Ergebnis nicht in der gebotenen Weise voneinander getrennt werden. Unerheblich ist, ob die unterbliebene Trennung darauf zurückzuführen ist, dass der Betroffene nicht in der Lage war zu trennen ("Trennen-Können" oder "Trennungsvermögen") oder dass ihm die Bereitschaft zum Trennen von Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs fehlte ("Trennungsbereitschaft").


38 Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. April 2019 - 3 C 13.17 -, juris, Rn. 19 und - 3 C 14.17 -, juris, Rn. 19. 39 Schon vor Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 und der damit einhergehenden Änderung der Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV galt, dass nicht jede bei einem Kraftfahrzeugführer festgestellte THC-Konzentration die Annahme fehlender Trennung im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV rechtfertigte. Die Rechtsprechung nahm in Ermangelung eines normativ festgelegten Grenzwertes auch in Anbetracht der Empfehlung der Grenzwertkommission zur Feststellung des Trennvermögens von Cannabiskonsum und Fahren einen Risikogrenzwert von 1,0 ng/ml Blutserum an, nachdem sie den schon seinerzeit zu Grunde gelegten Grenzwert von 1,0 ng/ml im Blutserum einer umfassenden und kritischen Prüfung unterzogen hatte.


40 Zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 14.17 -, juris, Rn. 23-30; vgl. auch
OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20. Januar 2016 - 9 K 1253/15 -, juris, Rn. 41 ff. und Beschluss vom 25. August 2020 - 9 L 1013/20 -, juris, Rn. 46.


41 Es handelte sich dabei um einen "Risikogrenzwert", also eine Konzentration von THC im Blutserum, ab der eine verkehrssicherheitsrelevante Beeinträchtigung der Fahrsicherheit möglich oder - anknüpfend an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

 

42 - vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 -1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378, 2380 -

 

43 nicht ausgeschlossen war.


44 Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 14.17 -, BVerwGE 165, 215-235 = juris, Rn. 23.


45 Der Antragsteller hat - auch unter Berücksichtigung des aktuellen Rechtszustandes - wenigstens einmal gegen das Trennungsgebot verstoßen.


46 Für die Beurteilung, ob eine nicht fernliegende verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs i.S.d. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV gegeben ist, ist nunmehr der in § 24a Abs. 1a StVG festgelegte Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum maßgeblich. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 24a Abs. 1a StVG und zur Änderung der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist bei Erreichen dieses THC-Grenzwerts nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend. Durch die Änderung der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV sollte die darin enthaltene Legaldefinition von Cannabismissbrauch laut Gesetzesbegründung ausdrücklich an den gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ ml THC im Blutserum in § 24a Abs. 1a StVG angepasst werden.

 

47 Vgl. BT-Drucks. 11370/20, S. 10 f.


48 Überholt sein dürfte damit die in der Literatur geäußerte Auffassung, wonach Cannabismissbrauch i.S.d. Vorschrift bei schädlichem Gebrauch anzunehmen sein dürfte; d.h. wenn durch den Konsum bereits eine Schädigung der körperlichen oder psychischen Gesundheit eingetreten sei, ohne dass bereits eine Abhängigkeit vorliege.

49 Vgl. Dronkovic, in: Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK Straßenverkehrsrecht, 24. Edition, Stand: 15. Juli 2024, § 13a FeV Rn. 20.


50 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Abstellen auf den Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum für die Frage des fehlenden Trennungsvermögens bestehen nicht. Dieser auf die Empfehlung der vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr eingesetzten Arbeitsgruppe (§ 44 Konsumcannabisgesetz) zurückgehende Grenzwert dürfte zwar so niedrig liegen, dass er nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung von THC zulässt. Der Wert liegt laut Gesetzesbegründung deutlich unterhalb der Schwelle, ab welcher ein allgemeines Unfallrisiko beginnt. Der Begriff "nicht fernliegend" soll einen Wahrscheinlichkeitsgrad für die Verwirklichung des Straßenverkehrssicherheitsrisikos definieren und ist so zu verstehen, dass der Risikoeintritt "möglich" ist, jedoch nicht wahrscheinlich, aber auch nicht "ganz unwahrscheinlich".
Die Expertenarbeitsgruppe hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass es nach derzeitigem Kenntnisstand der Wissenschaft nicht möglich ist - wie in § 44 Konsumcannabisgesetz normiert -, einen THC-Grenzwert festzulegen, bei dessen Erreichen nach dem Stand der Wissenschaft das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr regelmäßig nicht mehr gewährleistet ist.


51 Vgl. BT-Drucks. 11370/20, S. 10 f.


52 Eine solche Anknüpfung an einen "Risikogrenzwert", für dessen Bestimmung es nur darauf ankommt, ab welchem THC-Wert eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich ist oder - negativ formuliert - nicht mehr ausgeschlossen werden kann, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.


53 Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 - BVerwG 3 C 3.13 -, juris, Rn. 37, zum früheren in der Rechtsprechung praktisch einhellig angenommenen Grenzwert von 1,0 ng/ml.


54 Ausgehend hiervon hat der Antragsteller dadurch, dass er am 24. Februar 2017, einem Freitag, um 08:10 Uhr unstreitig ein Kraftfahrzeug unter der berauschenden Wirkung von Cannabis mit einer THC-Konzentration von 22 ng/ml im Blutserum geführt hat, selbst dann wenigstens einmal gegen das Trennungsgebot verstoßen, wenn zu seinen Gunsten der neue Grenzwert des § 24a Abs. 1 a StVG von 3,5 ng/ml zu Grunde gelegt wird.


55 Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV aufgrund von Tatsachen, die die Annahme von Cannabismissbrauch begründen, dürfte darüber hinaus einen wenigstens gelegentlichen Konsum von Cannabis voraussetzen. Denn die Feststellung eines einmaligen Cannabisgebrauchs rechtfertigt aus verfassungsrechtlichen Gründen "für sich genommen" nicht die Forderung nach Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.


56 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69-91 = juris, Rn. 67.


57 Umgekehrt lassen sich weder den Gesetzesmaterialien noch aus dem Gesetzestext des § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV oder der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nunmehr erst bei einem regelmäßigen Cannabiskonsum und fehlendem Trennungsvermögen die Annahme von Cannabismissbrauch gerechtfertigt sein soll.

58 Im Falle des Antragstellers ist davon auszugehen, dass er (jedenfalls) zum Zeitpunkt des Vorfalls vom 26. April 2017 zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert hat.


59 Ein gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt vor, wenn der Betreffende das Rauschmittel öfter als einmal, also mindestens zweimal, in voneinander unabhängigen selbstständigen Konsumakten, die in einem hinreichenden Zusammenhang zueinanderstehen, zu sich nimmt.


60 st. Rspr., zuletzt BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 14.17 - juris, Rn. 14.


61 Von einem solchen Konsummuster war im Falle des Antragstellers auszugehen. Die Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss von Cannabis rechtfertigt den Schluss auf eine mehr als einmalige, lediglich experimentelle Cannabisaufnahme, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Umstände eines behaupteten Erstkonsums nicht konkret und glaubhaft darlegt.
Es ist dann von einem gelegentlichen Konsum auszugehen. Dieser Rechtsprechung liegt die Überlegung zu Grunde, dass es ausgesprochen unwahrscheinlich erscheint, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument zum einen bereits relativ kurze Zeit nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug führt und er zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät. Dies wiederum berechtigt zu der Erwartung, dass derjenige, der sich ausdrücklich auf einen - für ihn günstigen - Erstkonsum beruft, zu den Einzelheiten der fraglichen Drogeneinnahme glaubhaft vorträgt. Fehlt ein solcher Vortrag wider Erwarten, ist es nach der Rechtsprechung dann zulässig, hieraus entsprechende Schlüsse zu ziehen.


62 Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/17 -, juris, Rn. 47; Beschlüsse vom 30. April 2020 - 16 B 380/20 -, n.v., Beschlussabdruck S. 3 f. und vom 22. Mai 2012 - 16 B 536/12 -, juris, Rn. 17; Bay. VGH, Beschluss vom 23. März 2021 - 11 CS 20.2643 -, juris, Rn. 23, m.w.N.; VG Berlin, Beschluss vom15. Januar 2021 - 4 L 529/20 -, juris, Rn. 23.


63 Zu der zu erwartenden Darstellung gehört insbesondere die Erläuterung, welche äußeren Umstände den drogenauffällig Gewordenen gerade zu diesem Zeitpunkt dazu veranlasst haben, erstmalig Cannabis zu versuchen, vor allem aber auch, was den Betreffenden nach diesem Konsum dazu bewegt hat, trotz seiner Unerfahrenheit mit dem Verlauf eines Haschisch- oder Marihuanarausches schon relativ bald nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug zu führen.


64 Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16 -, juris, Rn. 49.
65 Nach diesem Maßstab ist ein nur einmaliger Konsum weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren plausibel dargelegt worden. Vielmehr behauptet der Antragsteller einen solchen Eimalkonsum nur pauschal, ohne Einzelheiten zu nennen oder gar glaubhaft zu machen. Dies genügt nicht.


66 Zudem lässt sich die Behauptung des Antragstellers eines nur einmaligen Konsums nicht mit dem in der ihm am Vorfallstag entnommenen Blutprobe festgestellten THC-COOHWert von 106,00 ng/ml in Einklang bringen. Mit Hilfe des bei einer Blutuntersuchung ermittelten THC-COOH-Wertes kann auf die Häufigkeit der Einnahme von Cannabis geschlossen werden. Ab wann man allein aufgrund des ermittelten THC-COOH-Wertes bei anlassbezogener Blutentnahme von einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis in Abgrenzung zu einer nur einmaligen Einnahme von Cannabis ausgehen kann, wird unterschiedlich beurteilt.


67 Vgl. zum Streitstand Pause-Münch in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage 2022, § 14 FeV Rn. 38 (Stand: 28. Juni 2024).


68 Jedenfalls ab einer THC-COOH-Konzentration von 100 ng/ml - die in der Blutprobe des Antragstellers überschritten war - kann aber von einem gelegentlichen Konsum von Cannabis ausgegangen werden.
69 Vgl. VG Köln, Beschluss vom 28. März 2024 - 6 L 162/24 -, juris, Rn. 40; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 2 StVG Rn. 58; Pause-Münch in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage 2022, § 14 FeV Rn. 40 (Stand: 28. Juni 2024).


70 Allerdings dürfte ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot (bei wenigstens gelegentlicher Cannabiseinnahme) unter Geltung des neu eingefügten § 13a Nr. 2 a) Alt. 2 FeV für sich genommen nicht mehr die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen.


71 So im Ergebnis auch Dronkovic, in: Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK Straßenverkehrsrecht, 24. Edition, Stand: 15. Juli 2024, § 13a FeV Rn. 9, 20; Staub/Dronkovic, DAR 2024, 410, 412.


72 Insofern ergeben sich Änderungen zur früheren Rechtslage. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. konnte die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorlag und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründeten.


73 Als solche weitere Tatsache hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bereits einen einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot ausreichen lassen.


74 Vgl. statt vieler BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 13.17 -, juris, Rn. 27.


75 Mit Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 und dessen Änderung durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 16. August 2024 (BGBl. I Nr. 266) dürfte daran nicht mehr einschränkungslos festzuhalten sein. Das ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien und dem Gesetzeszweck des § 13a FeV. Während nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum CanG nur redaktionelle Folgeänderungen an § 14 FeV a.F. aufgrund der Herausnahme von Cannabis aus dem Anwendungsbereich des BtMG vorgenommen werden sollten, die Ermächtigung in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV aber unangetastet geblieben wäre


76 - vgl. BT-Drucks. 8704/20, S. 67, 156 -,


77 wurde diese Vorschrift auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit ersatzlos (so ausdrücklich die Begründung zur Beschlussempfehlung) gestrichen und stattdessen ein neuer § 13a FeV eingefügt. Hierzu heißt es in der Beschlussempfehlung ausdrücklich, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens damit nicht mehr darauf gestützt werden könne, dass gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliege und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründeten.

78 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom 21. Februar 2024, BT-Drucks.10426/29, S. 150 f.


79 Hierunter fiel nach alter Rechtslage, wie oben ausgeführt, aber auch die - in der Praxis wohl relevanteste - Konstellation eines einmaligen Verstoßes gegen das Trennungsgebot bei gelegentlichem Cannabiskonsum. Es ist nach Auffassung der Kammer fernliegend, in dieser Begründung lediglich einen Hinweis darauf zu sehen, dass sich die Rechtsgrundlage für die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht mehr in § 14 FeV, sondern künftig in § 13a (Satz 1) Nr. 2 a) Alt. 2 FeV findet. Hätte die Beschlussempfehlung damit nur zum Ausdruck bringen wollen, dass sich die Rechtsgrundlage für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei einer Cannabisproblematik zwar in § 13a (Satz 1) Nr. 2 a) Alt. 2 FeV verlagert, an den tatbestandlichen und durch die Rechtsprechung inhaltlich konkretisierten Voraussetzungen für eine solche Anforderung aber festgehalten werden sollte, wäre zu erwarten gewesen, dass dies sowohl in der Begründung der Beschlussempfehlung als auch durch die Aufnahme einer der Formulierung in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. (weitestgehend) entsprechenden Regelung seinen Niederschlag gefunden hätte.


80 Zudem würde das mit der Einfügung des § 13a FeV verfolgte gesetzgeberische Anliegen, die fahreignungsrechtlichen Regelungen bei einer Cannabisproblematik weitestgehend an die fahreignungsrechtlichen Regelungen bei einer Alkoholproblematik anzugleichen 81 - vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom 21. Februar 2024, BT-Drucks.10426/29,S. 150 -,


82 konterkariert, wenn im Rahmen des § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV bereits der gelegentliche Cannabiskonsum in Kombination mit einem einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot schon bei einer THC-Konzentration im Blutserum von 3,5 ng/ml die (zwingende) Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach sich zöge.


83 Die Regelung des § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ist der Vorschrift des § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV nachgebildet, welche für die Anordnung zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens sonstige Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, verlangt. Die Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ist darauf ausgerichtet, anknüpfend an einen in der Vergangenheit begangenen Alkoholmissbrauch und damit in Zusammenhang stehende Begleitumstände zu klären, ob sie durchgreifende
Zweifel an der künftigen Beachtung des in der Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV zum Ausdruck kommenden Gebotes rechtfertigen, einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und das Führen eines Fahrzeugs zu trennen.


84 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. März 2021 - 3 C 3.20 -, BVerwGE 172, 18-37 = juris, Rn. 22.


85 Unter einem Missbrauch i.S.d. § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ist somit ebenfalls ein fehlendes Trennungsvermögen zu verstehen. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine einmalige Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von unter 0,8 mg/l ohne zusätzliche aussagekräftige Umstände nicht genügt, um als sonstige Tatsache i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs zu begründen. Diese Einschränkung folgt aus systematischen Gründen im Hinblick auf die spezielleren Regelungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 b) und c) FeV. Die Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2 b) FeV ermächtigt zur Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV ist ein medizinischpsychologisches Gutachten anzufordern, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Um diese spezielleren Regelungen nicht leerlaufen zu lassen, ist der Rückgriff auf § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV insoweit ausgeschlossen, als er auf eine Umgehung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 13 Satz 1 Nr. 2 b) und c) FeV hinausliefe.


86 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. März 2021 - 3 C 3.20 -, BVerwGE 172, 18-37 = juris, Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 21. Januar 2015 - 16 B 1374/14 -, juris, Rn. 5 und Beschluss vom 17. Mai 2010 - 16 B 1825/09 -, n.V. 


87 Selbst wenn der Wortlaut der Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV erfüllt ist, kann daher die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung ohne zusätzliche aussagekräftige Umstände ("Zusatztatsachen") gleichwohl nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV gestützt werden, weil dies zu einem Wertungswiderspruch zu den § 13 Satz 1 Nr. 2 b) und c) FeV führen würde, wonach entweder wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss oder das Führen eines Fahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von über 1,6 Promille oder eine Atemalkoholkonzentration von über 0,8 mg/l Voraussetzung für die Einholung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung sind. 88 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. März 2021 - 3 C 3.20 -, BVerwGE 172, 18-37 und Urteil vom 6. April 2017 - 3 C 24.15 -, juris, Rn. 14; VG Würzburg, Beschluss vom 21. Juli 2014 - W 6 E 14.606 -, juris, Rn. 18.


89 Ein solcher norminterner Wertungswiderspruch ergäbe sich im Anwendungsbereich des § 13a Satz 2 FeV zwar insofern nicht, als es innerhalb der Regelung an einem Äquivalent zu § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV fehlt. Der Gesetzgeber hat keinen THC- oder THC-COOHWert festgelegt, der - analog zu einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille bzw. einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l - auf deutlich normabweichende Konsumgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit in Bezug auf Cannabis hindeutet

 

90 - vgl. zu § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 3 C 32.07 -, BVerwGE 131, 163-171 = juris, Rn. 15 -


91 und daher die Vermutung fehlenden Trennungsvermögens in sich trägt. Für die Annahme
einer ungewöhnlichen Giftfestigkeit bei einem Wert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum besteht keine normative oder wissenschaftlich gesicherte Grundlage. 


92 Vgl. hierzu auch Fromm, DAR 2024, 352, 353.


93 Die oben dargestellte einschränkende Auslegung des § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV wirkt sich aber mittelbar auf die Auslegung des § 13a Satz 2 Nr. 1 a) Alt. 2 FeV unter Berücksichtigung des mit dieser Norm verfolgten Regelungsziels aus.


94 Der Gesetzgeber, dessen Kenntnis und Billigung der langjährigen Rechtsprechung zu § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV unterstellt werden kann, würde sich zu seinem Regelungsziel einer weitestgehenden fahrerlaubnisrechtlichen Gleichbehandlung von Alkohol- und Cannabiskonsum in Widerspruch setzen, wenn der einmalige Verstoß eines Cannabiskonsumenten gegen das Trennungsgebot (bei mindestens gelegentlichem Cannabiskonsum) - anders als bei einem einmaligem Auffälligwerden unter Alkoholeinfluss, das nicht unter § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV fällt - auch ohne Zusatztatsachen wie etwa Anhaltspunkte für deutlich normabweichende Konsumgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit
die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen würde. Denn auch, wenn sich kein THC- oder THC-COOH-Wert bestimmen lassen sollte, dem eine vergleichbare Missbrauchsindikation wie einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille bzw. einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l in Bezug auf Alkoholmissbrauch zukommt, könnte von einer "weitestgehenden" Angleichung der fahrerlaubnisrechtlichen Behandlung von Alkohol- und Cannabiskonsum nicht mehr die Rede sein, wenn das einmalige Führen eines Fahrzeugs unter Cannabiseinfluss schon ab einer THC-Konzentration von 3,5 ng/ml im Blutserum die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, rechtfertigen würde, obwohl es sich bei diesem THC-Wert nach der Einschätzung der Expertenarbeitsgruppe, welcher sich der Gesetzgeber angeschlossen hat, um einen Wert handelt, bei dem Gelegenheitskonsumenten "nur" eine mit 0,2-Promille Blutalkoholkonzentration vergleichbare Beeinträchtigung aufweisen können.


95 Vgl. BT-Drucks. 11370/20, S. 11 f.


96 Eine (einmalige) Alkoholfahrt mit einer solchen Blutalkoholkonzentration bleibt aber fahrerlaubnisrechtlich regelmäßig ohne Relevanz. Weshalb der Gesetzgeber ausgerechnet insoweit an einer strengeren fahrerlaubnisrechtlichen Behandlung von Cannabis- gegenüber Alkoholkonsum festhalten wollen sollte, als es um die mit einem intensiven Eingriff in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verbundene Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens geht, ist nicht erkennbar. Zwar ist aus der in der Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit formulierten Absicht einer "weitestgehenden" Angleichung der fahreignungsrechtlichen Regelungen bei einer Cannabisproblematik einerseits und einer Alkoholproblematik andererseits zu entnehmen, dass nur eine Gleichbehandlung soweit als möglich - bei gleichzeitiger Anerkennung einer nicht in jeder Hinsicht gegebenen Vergleichbarkeit - erreicht werden sollte. Indes ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass es im Hinblick auf Cannabiskonsum nicht möglich sein soll, auf Missbrauch hindeutende Zusatztatsachen jenseits eines einmaligen Verstoßes gegen das Trennungsgebot (bei wenigstens gelegentlichem Konsum) zu definieren, sei es durch die (modifizierende) Übertragung der zu § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV in der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen


97 - vgl. die Übersicht bei Siegmund, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage, § 13 FeV (Stand: 12. September 2024), Rn. 96 -


98 oder durch die - der Rechtsprechung überlassene - Entwicklung eigenständiger Fallgruppen. Insbesondere dürfte es nicht ausgeschlossen sein, zumindest im jeweiligen Einzelfall (unter anderem anhand des im Blutserum nachgewiesenen THC-COOH-Wertes) auf eine ungewöhnliche Giftfestigkeit in Bezug auf Cannabis als einer Zusatztatsache zu schließen.


99 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Oktober 2018 - OVG 1 S 101.18 -, juris, Rn. 4.


100 Nach alledem bedarf es bei einem nur einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot (und einem mindestens gelegentlichen Cannabiskonsum) noch weiterer aussagekräftiger Zusatztatsachen, um die Annahme eines Cannabismissbrauchs i.S.d. § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV zu begründen.


101 Vgl. auch Koehl, SVR 2024, 161, 164.


102 Ob der einmalige Verstoß gegen § 24a Abs. 1a StVG (bei wenigstens gelegentlichem Konsum und trotz des Fehlens aussagekräftiger Zusatztatsachen) für sich genommen die Annahme eines Cannabismissbrauchs i.S.d. § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV auch deshalb nicht begründen kann, weil sich ansonsten ein Wertungswiderspruch zu § 13a Satz 1 Nr. 2 b) FeV ergäbe, kann hier im Ergebnis dahinstehen.


103 Nach § 13a Satz 1 Nr. 2 b) FeV führen auch wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, die unter Cannabiseinfluss begangen wurden, zur Gutachtenanordnung. Die Kammer hält es jedoch für zweifelhaft, ob bei der Anwendung des § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV auf die Fälle einer einmaligen Teilnahme am Straßenverkehr mit einer THC-Konzentration von 3,5 ng/ml oder mehr durch einen gelegentlichen Cannabiskonsumenten kein Anwendungsbereich für § 13a Satz 1 Nr. 2 b) FeV mehr verbliebe (wenngleich dieser praktisch gering sein dürfte); denn unter wiederholten unter Cannabiseinfluss begangenen Zuwiderhandlungen könnten nicht nur Ordnungswidrigkeiten nach § 24a Abs. 1a StVG, sondern auch Straftaten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB oder § 316 StGB zu fassen sein. Diese verlangen, dass eine Person im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl sie infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht mehr in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Die Fahrunsicherheit wird dabei nicht an bestimmte Grenzwerte für eine absolute Fahruntüchtigkeit geknüpft


104 - vgl. Ternig, NZV 2024, 257 Rn. 56; Haase/Sachs, NZV 2008, 221, 222, jeweils zitiert nach beck-online -,


105 sodass diese Straftatbestände (theoretisch) auch bei einer Rauschfahrt unter dem Einfluss einer THC-Konzentration von unter 3,5 ng/ml im Einzelfall verwirklicht sein können.

 

106 Daraus folgt aber jedenfalls, dass allein die einmalige tatbestandliche Verwirklichung des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB oder des § 316 StGB unter Cannabiseinfluss und mithin eine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit für sich genommen keine den Rückgriff auf § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ermöglichende Zusatztatsache sein kann.


107 a.A. möglicherweise OVG des Saarlandes, Beschluss vom 7. August 2024 - 1 B 80/24 -, juris, Rn. 25.


108 Wäre auch der einmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot (bei mindestens gelegentlichem Cannabiskonsum) für sich genommen unter § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV zu subsumieren, ginge damit zudem auf der Rechtsfolgenseite eine Verschärfung gegenüber § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. einher, die ebenfalls gegen die Beibehaltung der zu dieser Vorschrift entwickelten Maßstäbe spricht.


109 Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. stand bei gelegentlichem Cannabiskonsum und einem nur einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. 


110 Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 7.18 -, juris, Rn. 24; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Juli 2024 - 1 M 131/24 OVG -, juris, Rn. 7.


111 Erst bei einem zweimaligen Auffälligwerden eines gelegentlichen Cannabis konsumierenden Fahrerlaubnisinhabers im Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis war nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens als gebundene Entscheidung anzuordnen (sofern nicht ausnahmsweise gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Nichteignung bereits feststand).


112 Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. April 2019 - 3 C 13.17 -,- 3 C 7.18 -, juris, Rn. 30, - 3 C 14.17 -, juris, Rn. 40, - 3 C 25.17 -, juris, Rn. 31, - 3 C 2.18 -, juris, Rn. 36, - 3 C 8.18 -, juris, Rn. 37, - 3 C 9.18 -, juris, Rn. 29; OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Februar 2020 - 16 B 210/19 -, juris, Rn. 7, vom 23. Juni 2020 - 16 A 2571/18 -, juris, Rn. 7, und vom 15. April 2021 - 16 B 1313/20 -, n.V., Seite 2 f. des Beschlussabdrucks.


113 Dagegen ist bei Erfüllung einer der Tatbestandsvarianten des § 13a Satz 1 Nr. 2 FeV die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens als gebundene Entscheidung vorgesehen und mithin zwingend; ein Ermessensspielraum kommt der Behörde insoweit nicht mehr zu.


114 Vgl. Koehl, SVR 2024, 161, 164.


115 Zwar war die Ausübung des Ermessens nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. dahingehend intendiert, dass im Regelfall die Gutachtenanordnung zu erfolgen hatte und eine (vertiefte) Begründung nur unter besonderen Umständen zur pflichtgemäßen Ermessensausübung erforderlich war.


116 Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 14.17 -, juris, Rn. 37; OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2020 - 16 B 210/19 -, juris, Rn. 5 f. und Beschluss vom 10. August 2020 - 16 B 949/20 -, n. v.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Juli 2024 - 1 M 131/24 OVG -, juris, Rn. 16.
117 Demgegenüber ermöglicht § 13a Satz Nr. 2 a) Alt. 2 FeV der Fahrerlaubnisbehörde aber nicht einmal mehr die Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der es zu Gunsten des Fahrerlaubnisinhabers rechtfertigt, von der Regel der Gutachtenanordnung abzusehen. Dafür, dass der Gesetzgeber auf der Rechtsfolgenseite eine solche strengere Handhabung
der bislang nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. zu behandelnden Fälle beabsichtigt hätte, ohne dies zugleich an strengere tatbestandliche Voraussetzungen zu knüpfen, fehlt mit Blick auf die Motivation des Gesetzgebers indes jeglicher Anhaltspunkt.


118 Im Falle des Antragstellers spricht einiges dafür, dass weitere aussagekräftige Zusatztatsachen neben dem Verstoß gegen das Trennungsgebot und seinem (vormals) gelegentlichen Cannabiskonsum vorliegen, die die Annahme von Cannabismissbrauch i.S.d. § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV begründen.

 

119 Dass der Antragsteller ausweislich des Strafbefehls des Amtsgerichts O. vom 26. April 2017 bei dem Vorfall vom 24. Februar 2017 (wohl) drogenbedingte Ausfallerscheinungen in Gestalt des Übersehens eines für ihn geltenden Rotlichts gezeigt hat und damit wohl den Tatbestand des § 316 StGB verwirklicht haben dürfte, genügt nach dem Vorstehenden insofern zwar nicht.


120 Auch dürften die im Blutserum des Antragstellers festgestellten THC- undTHC-OOH-Werte noch nicht auf deutlich normabweichende Konsumgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit hinweisen, weil sie lediglich einen gelegentlichen Cannabiskonsum belegen.


121 zu einem "besonders hohen" THC-Wert als mögliche Zusatztatsache auch Koehl, SVR 2024, 161, 164.


122 Eine die missbräuchliche Einnahme von Cannabis indizierende Zusatztatsache im vorstehenden Sinne könnte sich aber daraus ergeben, dass der Antragsteller offenbar bereits in den Morgenstunden des 24. Februar 2017, einem Freitag, Cannabis konsumiert und sodann ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat. Die Einlassung des Antragstellers gegenüber den ihn kontrollierenden Polizeibeamten, er habe zuletzt am Vorabend einen "Joint" geraucht, dürfte als Schutzbehauptung zu werten sein. Dieser zugestandene Konsumakt dürfte nicht allein ursächlich sein für den nach dem ärztlichen Befundbericht des Labor I. vom 6. März 2017 im Rahmen der Analyse der am Vorfallstag um 9:05 Uhr entnommenen Blutprobe festgestellten THC-Wert von 22 ng/ml im Blutserum. Nach den im Rahmen der sog. 1. Maastricht-Studie gewonnenen Erkenntnissen über die Abbaugeschwindigkeit von THC im Blutserum sinkt dessen Konzentration bei Gelegenheitskonsumenten auch nach der Zufuhr hoher Dosierungen von 500 μg THC pro Kilogramm Körpergewicht innerhalb von sechs Stunden nach Rauchende im Mittel auf einen Wert von etwa 1 ng/ml ab.


123 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. September 2011 - 16 B 470/11 -, Rn. 4 ff., juris, mit zahlreichen Nachweisen zu den Grundlagen der Erkenntnisse und zu weiterer Rechtsprechung; Bay. VGH, Beschluss vom 3. Januar 2017 - 11 CS 16.2401 -, juris, Rn. 14.


124 Ein demzufolge jedenfalls nach Aktenlage anzunehmender Cannabiskonsum des Antragstellers noch in der ersten Tageshälfte dürfte - bei entsprechender Heranziehung der Rechtsprechung zu § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV - eine aussagekräftige, auf Cannabismissbrauch hindeutende Zusatztatsache sein.


125 Vgl. zu § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV Bay. VGH, Beschluss vom 3. Juni 2022 - 11 CE 22.262 -, juris, Rn. 19.


126 Dies dürfte insbesondere oder zumindest dann gelten, wenn der Antragsteller (nahezu) jeden Morgen Cannabis konsumieren bzw. konsumiert haben sollte und zugleich (nahezu) jeden Morgen ein Kraftfahrzeug zur Berufsausübung führen muss oder sonst nahezu tägliche Autofahrten erfolgen sollten.


127 Vgl. zu solchen Umständen als Alkoholmissbrauch indizierende Zusatztatsache Bay. VGH, Urteil vom 2. Dezember 2011 - 11 B 11.246 -, juris; Rn. 21; VG Bayreuth, Urteil vom 19. Februar 2019 - B 1 K 18.572 -, juris, Rn. 25.


128 Ob derartige Umstände im Falle des Antragstellers vorliegen bzw. vorlagen, bedarf einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, die aufgrund der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des auf eine summarische Rechts- und Tatsachenprüfung beschränkten Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes dem Hauptsachverfahren vorbehalten bleiben muss. Eine hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren
kann demnach nicht konstatiert werden.


129 Daran ändert auch nichts, dass der Vorfall vom 24. Februar 2017 mittlerweile über sieben Jahre zurückliegt. Das Verstreichen dieser Zeitspanne seit dem letzten dokumentierten Verstoß des Antragstellers gegen das Trennungsgebot dürfte einer Gutachtenanordnung nicht entgegenstehen.


130 Hinsichtlich der Fahrt unter Cannabiseinfluss am 24. Februar 2017, die als Straftat nach § 316 StGB in das Fahreignungsregister einzutragen war (§ 28 Abs. 3 Nr. 2 StVG), folgt dies daraus, dass nach ständiger Rechtsprechung Taten verwertbar sind und dem Betroffenen vorgehalten werden können, solange sie - wie hier nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 a) StVG - im Fahreignungsregister noch nicht getilgt bzw. tilgungsreif sind.


131 Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 21.04 - NJW 2005, 3440 = juris, Rn. 25 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2017 - 16 E 132/16 -, juris, Rn. 8; Bay. VGH, Beschluss vom 3. November 2021 - 11 CS 21.1000 -, juris, Rn. 30; Beschluss vom 7. Dezember 2015 - 11 ZB 15.2271 - juris, Rn. 14, m.w.N. und Beschluss vom 6. Mai 2008 - 11 CS 08.551 - juris, Rn. 39 ff.


132 Ebenso wenig kann allein aufgrund Zeitablaufs davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller kein für die Anwendung des § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV erforderliches Konsummuster eines wenigstens gelegentlichen Cannabiskonsums mehr aufweist. Denn der Antragsteller hat schon nicht (substantiiert) behauptet, den in seinem Fall anzunehmenden gelegentlichen Cannabiskonsum inzwischen aufgegeben zu haben.


133 II. Ob der Antragsteller mit seinem Vorbringen, er sei wegen seiner beruflichen Tätigkeit als Fensterputzer und der Notwendigkeit, seine vier Kinder im Alter von vier, fünf, acht und zwölf Jahren vor Arbeitsbeginn in die Schule bzw. die Kindertagespflege zu bringen, auf eine Fahrerlaubnis angewiesen, einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, kann nach alledem dahinstehen.


134 B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


135 C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht geht hinsichtlich der in der Hauptsache begehrten Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L von dem Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR aus und halbiert diesen für das Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes. Zwar sieht Nummer 1.5 des Streitwertkatalogs
2013 in seinem Satz 2 vor, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes,
die die Entscheidung - wie hier - in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden kann. Auch diese Empfehlung (vgl. Vorbemerkung Nr. 3 des Streitwertkatalogs 2013) gibt vorliegend jedoch letztlich keinen Anlass, von einem höheren Streitwert als 2.500,00 EUR auszugehen. Eine vollständige oder teilweise Vorwegnahme der Entscheidung im Sinne des Streitwertkatalogs liegt dann vor, wenn die einstweilige Anordnung nicht nur, wie unausweichlich, für den Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung, sondern darüber hinaus zu endgültigen Folgen führt, welche die Hauptsacheentscheidung nicht nur offenhalten, sondern gegenstandslos werden lassen.


136 Vgl. Hong, NVwZ 2012, 468, 471 f.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. April 2024 - 12 S 489/24 -, juris, Rn. 6. 137 Eine solche Vorwegnahme begehrt der Antragsteller nicht. Zwar kann die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die Dauer einer einstweiligen Anordnung nicht nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit wieder rückgängig gemacht werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Anordnung in rechtlicher Hinsicht nicht zu endgültigen Folgen führt.

Rechtsanwältin

Simone Fischer

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