Simone Fischer Rechtsanwältin
Simone FischerRechtsanwältin

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 20.01.2016, Az.: 9 K 1253/15

 

Die Verwirklichung des Merkmals des unzureichenden Trennungsvermögens im Sinne von Nr. 9.2.2 setzt das Vorliegen einer THC-Konzentration voraus, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer im Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war.

 

Auch in Anbetracht der Empfehlung der Grenzwertkommission zur Feststellung des Trennvermögens von Cannabiskonsum und Fahren (Blutalkohl 52 (2025), 322 f.) ist eine Erhöhung des Risikogrenzwertes von 1,0 ng/ml Blutserum nicht geboten.

Ab einem Grenzwert von 1,0 ng THC/ml Blutserum kann eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht mehr ausgeschlossen werden.

 

Die Empfehlung der Grenzwertkommission enthält nicht die wissenschaftliche Behauptung, dass es unterhalb eines Grenzwertes von 3,0 ng THC/ml Blutserum nicht zu einer cannabisbedingten Beeinträchtigung verkehrssicherheitsrelevanter Fähigkeiten kommen könne; sie enthält vielmehr die Aussage, dass beim gelegentlichen Cannabiskonsumenten erst aus einem THC-Wert von 3,0 ng/ml Blutserum darauf geschlossen werden kann, dass nur wenige Stunden seit dem letzten Konsumakt vergangen sind.

 

Aus juristischer Sicht ist für das mangelnde Trennvermögen nicht ein bestimmter Zeitablauf zwischen Konsum und Fahren maßgeblich, sondern vielmehr das Vorhandensein einer die Möglichkeit der verkehrsrelevanten Leistungseinbuße begründenden THC-Konzentration im Blutserum zum Zeitpunkt des Fahrens.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1980 geborene Kläger war Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen.

 

Am 28. September 2014 wurde er um 1:20 Uhr von der Polizei im Rahmen einer Verkehrskontrolle mit seinem Pkw in F. angehalten. Nach dem Eindruck der Beamten, waren die Pupillen eng bzw. klein, reagierten unzureichend auf den freiwillig durchgeführten Lichtreflexionstest und war ein leichtes Flimmern der Augenlieder zu beobachten. Ein vor Ort freiwillig durchgeführter Drogenvortest (Urinprobe) verlief positiv auf THC. Nach dem polizeilichen Bericht gab der Kläger nach dem positiven Drogenvortest und zuvor erfolgter Belehrung als Betroffener einer Ordnungswidrigkeit an, vor zwei Tagen einen Joint geraucht zu haben und dies öfter zu tun, da er unter Schlafstörungen leide und so besser einschlafen könne. Der Kläger willigte in die Abnahme einer Blutprobe ein. Diese wurde durch das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums E. untersucht. Das unter dem 28. Oktober 2014 erstattete Gutachten des Univ.-Prof. Dr. E1. ergab eine Tetrahydrocannabinol- (THC-) Konzentration von 1,1 ng/ml, einen 11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol- (11-OH-THC) Wert von ca. 0,4 ng/ml (Spuren) und einen Tretrahydrocannabinolcarbonsäure- (THC-COOH-) Wert von 25 ng/ml Blutserum.

 

Die Beklagte gab dem Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis. Der Kläger teilte unter dem 18. Dezember 2014 durch seinen Prozessbevollmächtigten mit: Es habe sich um einen erst- und einmaligen Konsum von Cannabis gehandelt. Gegenüber den bei der Verkehrskontrolle anwesenden Polizeibeamten angegeben zu haben, öfter Cannabis zu rauchen, sei ihm nicht erinnerlich und entspräche auch nicht den Tatsachen. Eine Trennung zwischen Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs könne demjenigen Fahrzeugführer zwingend denklogisch überhaupt nicht abverlangt werden, der zum einen mangels medizinischer Sachkunde oder gar einer vorherigen gutachterlichen Analyse seines eigenen Blutes überhaupt nicht wisse, dass er eben das Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss führte, und zum anderen mangels tatsächlicher Beeinträchtigung seiner Fahr(er)eigenschaften durch das noch in seinem Blut befindliche Cannabis keine eigenen diesbezüglichen "Erkenntnistatsachen" habe, also Fahrlässigkeitstäter sei. Dieses müsse jedenfalls in denjenigen Fällen gelten - und gelte nach ständiger einschlägiger Rechtsprechung auch tatsächlich - in denen der Einfluss, unter dem ein Kraftfahrzeug geführt worden sei, aus einem erst- und einmaligen Konsum des Fahrzeugführers resultiere.

 

Mit Verfügung vom 15. Januar 2015 ordnete die Beklagte die Vorlage eines ärztlichen toxikologischen Gutachtens an.

 

Das unter dem 11. Februar 2015 erstellte Gutachten des Universitätsklinikums E. kam zu dem Ergebnis, dass in der am 26. Januar 2015 abgenommenen Blutprobe des Klägers THC-COOH in Spuren (ca. 0,9 ng/ml) vorhanden waren. THC sowie das weitere Abbauprodukt 11-OH-THC wurden nicht nachgewiesen.

 

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 18. Februar 2015 erneut zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an.

 

Der Kläger nahm unter dem 23. Februar 2015 durch seinen Prozessbevollmächtigten Stellung und gab an: Die Rückschlüsse der Behörde aus dem Gutachten vom 11. Februar 2015 - nämlich das Vorliegen von gelegentlichem Cannabiskonsum - seien schlichtweg falsch. Der gemessene THC-COOH-Wert von 0,9 ng/ml Blutserum belege, dass nach dem 28. September 2014 kein Cannabis mehr konsumiert worden sei. THC-COOH sei eines der Stoffwechselprodukte im menschlichen Körper, die nicht sofort wieder ausgeschieden, sondern erst langsam "körperintern" abgebaut würden.

 

Mit Ordnungsverfügung vom 3. März 2015 entzog die Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, seinen Führerschein sofort abzugeben. Für den Fall, dass der Kläger dieser Verpflichtung nicht binnen einer Woche nach Zustellung der Verfügung nachkomme, wurde ein Zwangsgeld i.H.v. 250,00 € angedroht. Für den Bescheid wurde eine Verwaltungsgebühr i.H.v. 100,00 € zuzüglich Kosten für die Meldung an das Zentrale Fahrerlaubnisregister i.H.v. 1,00 € und Zustellkosten i.H.v. 3,45 € erhoben. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Die im Blut festgestellten Mengen von THC und THC-COOH sprächen dafür, dass der Kläger vermutlich gelegentlich Cannabis konsumiere und zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle unter der Wirkung von Cannabis gestanden habe. Durch die Untersuchung der am 26. Januar 2015 entnommenen Blutprobe sei die erneute Einnahme von Cannabis nachgewiesen. Daher sei der Kläger zumindest gelegentlicher Cannabiskonsument. Die Konzentration des THC-Metaboliten von etwa 0,9 ng/ml könne nicht mehr durch einen (einmaligen) Konsum am 28. September 2014 hervorgerufen worden sein. Der Kläger habe durch seine Fahrt unter Cannabiseinfluss am 28. September 2014 belegt, dass er nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen könne. Damit stehe die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fest.

 

Der Kläger hat am 12. März 2015 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er seine Ausführungen im Rahmen der Anhörung und trägt ergänzend vor: Die in der Blutprobe vom 28. September 2014 festgestellten THC-Werte würden insgesamt "mengen-/höhenmäßig" (wohl) unstreitig keine solchen darstellen, die eine tatsächliche Beeinflussung der Fahrtüchtigkeit bedingten. Dann dürfe ebenfalls unstreitig sein, dass der tatsächliche Konsum nicht am 28. September 2014 stattgefunden habe.

 

Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2015 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Sie wiederholt und vertieft zur Begründung ihrer Rechtsauffassung ihre Ausführungen aus der Ordnungsverfügung.

 

Das Gericht hat den Rechtsstreit zunächst mit Beschluss vom 7. April 2015 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Unter dem 4. Januar 2016 hat die Einzelrichterin den Rechtsstreit aufgrund grundsätzlicher Bedeutung nach Anhörung der Beteiligten auf die Kammer zurückübertragen. Mit Beweisbeschluss vom 5. Januar 2016 wurde die Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen Professor Dr. U. E1. angeordnet. Wegen des Ergebnisses der Sachverständigenbefragung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 2016 Bezug genommen.

 

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Die Ordnungsverfügung vom 3. März 2015 findet ihre Rechtsgrundlage in § § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV -. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist u.a. derjenige, der die notwendigen körperlichen oder geistigen Voraussetzungen nicht erfüllt (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG). Dies ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 FeV vorliegen, welche die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen.

 

Die fehlende Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt sich aus Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV. Danach ist derjenige als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, der gelegentlich Cannabis konsumiert und nicht zwischen Konsum und Fahren trennen kann.

 

Der Kläger ist gelegentlicher Cannabiskonsument und kann nicht zwischen Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen.

 

Ein gelegentlicher Konsum von Cannabis erfordert mehr als nur einen einmaligen Konsum, ist aber bereits bei zwei selbständigen Konsumvorgängen anzunehmen, sofern diese einen gewissen auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen.

 

Der Kläger hat im zeitlichen Zusammenhang zur Verkehrskontrolle am 28. September 2014 und (zumindest) ein weiteres Mal zeitlich vor der Blutprobenentnahme am 26. Januar 2015 Cannabis konsumiert. Dies wird durch die in den Gutachten vom 28. Oktober 2014 und 11. Februar 2015 festgestellten Werte im Blutserum des Klägers belegt. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass es sich bei dem in der Blutprobe vom 26. Januar 2015 vorgefundenen THC-COOH-Wert um eine Konzentration handelt, die nur durch zwischenzeitlichen Konsum erklärlich ist.

 

Der Kläger hat auch nicht im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt.

 

In dieser fehlenden Trennung liegt ein die Fahreignung ausschließender charakterlichsittlicher Mangel. Er ist darin zu sehen, dass der Fahrerlaubnisinhaber ungeachtet einer im Einzelfall anzunehmenden oder jedenfalls nicht auszuschließenden drogenkonsumbedingten Fahruntüchtigkeit nicht bereit ist, vom Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr abzusehen.

 

Dabei ist für die Verwirklichung des Merkmals des unzureichenden Trennungsvermögens im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht auf ein subjektives Element - wie die persönliche Wahrnehmung des Betroffenen von seiner eigenen Leistungsfähigkeit - abzustellen. Vielmehr ist entscheidend, ob der Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen erhöht, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben.

 

Daraus folgt zugleich, dass nicht jede bei einem Kraftfahrzeugführer festgestellte THC-Konzentration die Annahme fehlender Trennung im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV rechtfertigt.

 

Festgestellt werden muss eine THC-Konzentration, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war.

 

Das entspricht dem verfassungsrechtlichen Erfordernis, Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit - zu der auch der Genuss hoher individueller Mobilität zählt, wie sie das Führen von Kraftfahrzeugen vermittelt - nur als verfassungsrechtlich unbedenklich zu bewerten, wenn sie zum Schutz des Rechtsguts nicht nur geeignet und erforderlich sind, sondern auch zur Art und Intensität der Rechtsgütergefährdung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Es muss daher eine hinreichende Gefahr vorliegen, die eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit des Fahrerlaubnisinhabers als nahe liegend erscheinen lässt.

 

Dabei dürfen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringere Anforderungen gestellt werden, je gewichtiger die bedrohten Rechtsgüter sind. Bei der Teilnahme am Straßenverkehr stehen Gefahren für das Leben, die Gesundheit und das Eigentum und damit hochwertige Rechtsgüter anderer Bürger in Frage.

 

In Bezug auf den zugrundezulegenden Gefährdungsmaßstab ist damit eine derartige Trennung zu fordern, bei der eine Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten Eigenschaften durch die vorangegangene Einnahme von Cannabis unter keinen Umständen eintreten kann. Bereits die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit muss ausgeschlossen sein; eine signifikante Erhöhung des Unfallrisikos ist nicht zu fordern.

 

Hat der Betroffene in der Vergangenheit ein Kraftfahrzeug unter einem THC-Pegel geführt, bei dem eine Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit möglich war, rechtfertigt das nach der der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu Grunde liegenden Wertung zugleich Zweifel daran, dass er künftig stets die gebotene Trennung von Cannabiskonsum und Fahren beachten wird; das wiederum führt zur Verneinung seiner Fahreignung.

 

Das vom Normgeber zu Recht verfolgte Ziel, Risiken für die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Cannabiskonsum unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes soweit wie möglich auszuschließen, ist auch für die Bestimmung des im Rahmen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 maßgeblichen THC-Grenzwertes von Bedeutung. Abzustellen ist daher darauf, ab welchem THC-Wert eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich ist oder - negativ formuliert - nicht mehr ausgeschlossen werden kann; insoweit handelt es sich um einen Risikogrenzwert.

 

Die Rechtsprechung - einschließlich der der erkennenden Kammer - hat bislang den THC-Wert, bei welchem eine solche Beeinträchtigung nicht mehr sicher ausgeschlossen werden kann, in Auswertung der medizinischtoxikologischen Studien überwiegend mit 1 ng/ml Blutserum festgelegt.

 

Grundlage dieser Rechtsprechung war insbesondere der Beschluss der sog. Grenzwertkommission vom 20. November 2002 - aktualisiert durch Beschluss vom 22. Mai 2007,

veröffentlicht in Blutalkohol 44 (2007), 311 - zu § 24a Abs. 2 StVG, wonach der Grenzwert für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG für THC bei 1,0 ng/ml im Blutserum liegt.

 

Vorliegend war eine erneute Überprüfung dieses Grenzwertes geboten, da die Grenzwertkommission - eine fachübergreifende mit Wissenschaftlern aus den Fachgesellschaften der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM), der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) und der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie (GTFCh) besetzte Arbeitsgruppe beim Bundesministerium für Verkehr - in ihrer Empfehlung aus September 2015, veröffentlicht in Blutalkohol 52 (2015), 322 f., konkret in Bezug auf die Feststellung des Trennvermögens von Cannabiskonsum und Fahren i.S.d. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ausgeführt hat:

"Die Grenzwertkommission empfiehlt (...) bei Feststellung einer THC-Konzentration von 3,0 ng/ml oder mehr im Blutserum bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen eine Trennung von Konsum und Fahren im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu verneinen."

 

Nach Einholung des vom Vorsitzenden der Grenzwertkommission in der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachtens geht das Gericht weiterhin vom Risikogrenzwert von 1 ng THC/ml Blutserum aus.

 

Im Hinblick auf den oben dargelegten rechtlichen Maßstab, ist eine Erhöhung des Risikogrenzwertes nicht erforderlich. Der Empfehlung der Grenzwertkommission ist nicht die wissenschaftlich gesicherte Aussage zu entnehmen, dass es unterhalb des Grenzwertes von 3 ng THC/ml Blutserum nicht zu einer cannabisbedingten Beeinträchtigung verkehrssicherheitsrelevanter Fähigkeiten kommen kann.

 

Bezüglich der neuen Empfehlung der Grenzwertkommission hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung ausgeführt: Sie beruhe nicht auf grundlegenden neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ihr lägen aber neue wissenschaftliche Auswertungen zugrunde.

 

Anlass für die Empfehlung sei vielmehr das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3/13 - gewesen. Man habe sich aus wissenschaftlicher Sicht zu zwei (vgl. im Folgenden a) und b)) diesem Urteil zugrunde liegenden Annahmen äußern wollen.

 

a) Zum einen sei es um eine Korrektur der Lesart der sog. Maastricht-I-Studie gegangen.

 

Der Sachverständige hat dazu ausgeführt:

"Aufgrund der sog. Maastricht-Studie kann bei dem Wert von 2,0 ng THC/ml Blutserum gesagt werden, dass es bei bestimmten verkehrsrelevanten Parametern zu einer signifikanten Verschlechterung der Leistung kommt. Andere Studien sind zu anderen, insbesondere höheren Werten gekommen. Auch bei gemessenen Werten von unter 2 ng THC/ml Blutserum ist es nicht ausgeschlossen, dass es zu einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit kommt. Die Empfehlung der Grenzwertkommission sollte insofern mit der Nennung des Wertes von 2 ng THC/ml Blutserum als Wert für die früheste Wirkung lediglich die Lesart der sog. Maastricht-Studie durch das Bundesverwaltungsgericht korrigieren."

 

Zu dieser Studie hat er erläutert:

"Es kann bei einem THC-Wert unterhalb von 2,0 ng THC/ml Blutserum nicht festgestellt werden, ob durch diese Einwirkung das Leistungsverhalten des Betroffenen sich verschlechtert hat. Dies beruht auf dem Umstand, dass auch ein Placebokonsument Fehler in einem Umfang machen kann, der sich von der Fehlerrate eines Konsumenten von THC, dessen Konzentration unterhalb von 2 ng THC/ml Blutserum liegt, nicht unterscheidet."

 

Vor diesem Hintergrund liegt der maßgebliche Aussagegehalt der Passage

"Eine Leistungseinbuße ließ sich in experimentellen Studien frühestens ab 2 ng THC/ml Serum nachweisen ..."

in der Empfehlung der Grenzwertkommission darin, dass unterhalb dieses Wertes aufgrund der sog. Maastricht-I-Studie Leistungseinbußen nach naturwissenschaftlichen Standards nicht nachgewiesen sind.

Dies deckt sich mit den Zusammenfassungen der Ergebnisse der Studie selbst durch die beteiligten Wissenschaftler:

"Bei Werten von 5-30 ng/ml waren signifikante Beeinträchtigungen der Probanden in allen Tests feststellbar. Im Bereich von 2-5 ng/ml waren signifikante Beeinträchtigungen nur noch im feinmotorischen Test (CCT) messbar. Zwischen 1-2 ng/ml waren Beeinträchtigungen im feinmotorischen Bereich auch hier nicht mehr signifikant. (...) Beim CCT war unter 2 ng/ml lediglich noch eine nicht signifikante Tendenz zu einer Beeinträchtigung zu erkennen. Unter 1 ng/ml ließen sich keine Unterschiede in der Leistung zwischen THC-Konsum und Placebo feststellen."

Möller/Kauert/Tönnes/Schneider/Theunissen/Ramaekers, Leistungsverhalten und Toxikokinetik der Cannabinoide nach inhalativer Marihuanaaufnahme, in: Blutalkohol 43 (2006), 361, 368; sowie Möller, in: Berz/Burmann (Hrsg.), Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 2, Kap. 15. Arzneimittel und Drogen im Straßenverkehr, B. II. 4. g) aa) Rn. 142.

 

Demnach ist bei unter 2 ng THC/ml Blutserum eine Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen.

Es ist jedenfalls wissenschaftlich umstritten, ab welchem Grenzwert von einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit ausgegangen werden kann. Dies beruht insbesondere darauf, dass gesicherte Erfahrungswerte zu Dosis-Blutkonzentrations-Wirkungsbeziehungen für Drogen - insbesondere THC - durch die medizinischnaturwissenschaftliche Forschung derzeit nicht bereitgestellt werden können. So ist es trotz mehrfacher Forschungsaufträge bislang nicht gelungen, aus wissenschaftlicher Sicht einen Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit festzulegen. Im Umkehrschluss heißt dies aber auch, dass eben die Möglichkeit einer Beeinträchtigung schon oberhalb eines Grenzwertes von 1 ng THC/ml im Blutserum nicht sicher ausgeschlossen werden kann.

 

Vgl. dazu Möller, in: Berz/Burmann (Hrsg.), Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 2, Kap. 15. Arzneimittel und Drogen im Straßenverkehr, C. III. 4. b) Rn. 32 und 59 ("auch Wirkgrenzen nach unten nicht sicher definierbar")¸ sowie allgemeiner Maatz, Fahrtüchtigkeit nach Drogenkonsum, Blutalkohol 43 (2006), 451 ff.; vgl. auch die umfassenden Ausführungen in VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. November 2012 - 10 S 3274/11 -.

 

In Auswertung der sog. Maastricht-I-Studie stellt beispielsweise Möller zu dem Vorschlag, gesetzlich in § 24a Abs. 1 StVG einen Grenzwert für ordnungswidriges Handeln bei 5 ng/ml festzuschreiben, fest:

"Hierbei wurde nicht berücksichtigt, dass bei Gelegenheitskonsumenten durchaus die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigende Wirkungen bei THC-Konzentrationen auftreten können, die im Bereich von 1-2 ng/ml liegen und im Bereich von 2-5 ng/ml signifikant sind. Ein unterer Grenzwert sollte daher in jedem Fall bei 1 ng/ml liegen."

Möller, in: Berz/Burmann (Hrsg.), Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 2, Kap. 15. Arzneimittel und Drogen im Straßenverkehr, B. II. 4. g) dd) Rn. 158a.

 

In dieselbe Richtung geht die Äußerung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung:

"Wie auch bereits bei meinen Ausführungen zum Beschluss der Grenzwertkommission zu § 24a StVG dargelegt, ist unter Umständen auch bereits bei 1 ng THC/ml Blutserum eine cannabisbedingte verkehrssicherheitsrelevante Leistungseinbuße nicht ausgeschlossen."

 

b) Die zweite zentrale Aussage der Empfehlung der Grenzwertkommission ist nach den Ausführungen des Sachverständigen, dass bei einem Wert von 1 ng THC/ml Blutserum nicht zwingend darauf geschlossen werden könne, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden erfolgt sei. Er hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt:

"Bezüglich des Sachverhalts, der der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 3 C 3/13 zugrunde lag, ist darauf hinzuweisen, dass die Aussage des Konsumenten, der angibt, vor 24 Stunden letztmalig konsumiert zu haben, und bei dem die Blutuntersuchung ergibt, dass noch THC im Blut von über 1 ng/ml vorhanden ist, nicht zwingend die Schlussfolgerung erlaubt, dass es einen weiteren Konsumakt zwischen dem zugestandenen Konsum und der Abnahme der Blutprobe gegeben haben muss. Dies hängt im Wesentlichen davon ab, wie hoch konzentriert/dosiert der einen Tag zuvor aufgenommene Wirkstoff war."

 

Erläuternd hat der Sachverständige hierzu erklärt, dass aufgrund der Halbwertzeiten, die im Laufe des Abbauprozesses stetig höher würden und am Ende auf bis zu 24 Stunden ansteigen könnten, zwar 2 ng THC/ml Blutserum relativ schnell unterschritten würden, gerade im Bereich von 1 ng THC/ml Blutserum die Kurve aber sehr lang quasi parallel zu diesem Wert verlaufen könnte. Das Zeitfenster sei dementsprechend nicht so eng zu setzen. Selbst bei einem "normalen Joint" müssten 24 Stunden angesetzt werden, um sicher zu sein, dass der Wert wieder unter 1 ng THC/ml Blutserum liege.

 

Die zweite maßgebliche Aussage der Empfehlung der Grenzwertkommission betrifft nach diesen Ausführungen also die Frage, aus welchem THC-Wert - jedenfalls beim gelegentlichen Konsumenten - auf einen zeitnahen Cannabiskonsum geschlossen werden kann. Darauf aufbauend hat die Grenzwertkommission dann den Grenzwert von 3 ng THC/ml Blutserum vorgeschlagen, bei dessen Vorliegen auf mangelndes Trennungsvermögen im Sinne der Nichteinhaltung ausreichender Wartezeiten geschlossen werden könne.

 

Dieses auf die Einhaltung ausreichender Wartezeiten zwischen Konsum und Fahrtantritt abstellende Verständnis von Trennvermögen hat sie auch im zweiten Satz des ersten Absatzes ihrer Empfehlung vorangestellt. Dort heißt es:

"Als Voraussetzung für die Fahreignung gelegentlicher Cannabiskonsumenten wird die Einhaltung ausreichender Wartezeiten zwischen Konsum und Fahrtantritt gefordert (Trennungsvermögen, vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV)."

 

Dazu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung ausgeführt:

"Wenn das Trennvermögen so definiert wird, dass ein solches nicht vorliegt, wenn nach 4 bis 6 Std. Abstinenz ein bestimmter Grenzwert immer noch nicht unterschritten ist, so müsste dieser auf 3 ng THC/ml Blutserum festgesetzt werden. Dies entspricht der Empfehlung der Grenzwertkommission."

"Die Grenzwertkommission ist nicht dazu berufen, den Begriff des Trennens zu definieren. Wir haben in unserer Empfehlung das Verständnis vom Trennungsvermögen aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 3 C 3/13 herausgelesen. Unter Zugrundlegung dieses Verständnisses haben wir dann unsere Empfehlung herausgegeben. Bei einer anderen Definition könnte es beim Wert von 1 ng THC/ml Blutserum verbleiben."

Und weiter:

"Bereits bei 1 ng THC/ml Blutserum kann es zu einer Verkehrsbeeinträchtigung kommen. Bezüglich des fehlenden Trennvermögens stellt die Grenzwertkommission hingegen auf 3 ng THC/ml Blutserum ab. Läge ein Trennen von Konsum und Fahren dann noch vor, wenn der Fahrer damit rechnen muss bzw. kann, dass noch wirkaktives THC in seinem Körper ist, dann würde derselbe Grenzwert wie der, der für § 24a StVG von der Grenzwertkommission festgelegt wurde, gelten."

 

Daraus folgt für die juristische Bewertung einerseits, dass in Fällen, bei denen lediglich ein gelegentlicher Konsum vorliegt und eine Konzentration von 3 ng THC/ml Blutserum oder mehr gemessen wird, vom Fahren unter einer akuten Rauschwirkung, in der Leistungseinbußen wissenschaftlich unbestritten sind, ausgegangen werden kann. Zugleich wird in diesen Fällen auch von einer subjektiv vorwerfbar kurzen Wartezeit zwischen Konsum und Fahrantritt auszugehen sein, sodass diese Fälle schon nach dem alltäglichen Wortverständnis unschwer unter den Begriff des mangelnden Trennens gefasst werden können.

 

Exemplarisch hat der Sachverständige insofern auf Nachfrage folgende Bewertung getroffen:

"Wer im Straßenverkehr angetroffen wird und während der Verkehrsteilnahme, auch wenn dies nur einmalig ist, an einer Haschzigarette zieht, kann zwischen dem Fahren und dem Konsum nicht trennen."

Mit der rein zeitlichen Betrachtung knüpft die Empfehlung der Grenzwertkommission aber an einen sehr engen Begriff des mangelnden Trennvermögens an und schließt - wie der Sachverständige selbst konstatiert - andererseits nicht aus, dass aus juristischer Sicht auch andere Fallgestaltungen als Ausprägung des Tatbestandes des mangelnden Trennvermögens gefasst werden.

Nur vor diesem Hintergrund erschließt sich auch der letzte Satz der Empfehlung der Grenzwertkommission, in der es heißt:

"Eine Neubewertung des analytischen Grenzwertes von THC (1 ng/ml) gemäß der Empfehlung der Grenzwertkommission zur Anlage des § 24a Absatz 2 StVG ist nicht veranlasst."

Bei dem in diesem Beschluss festgesetzten Grenzwert handelt es sich zwar in erster Linie um einen analytischen Grenzwert. Er wurde aber empfohlen, "um den Nachweis der Substanz nicht völlig von der zunächst vom Gesetzgeber implizierten Wirkung zu lösen".

Möller, in: Berz/Burmann (Hrsg.), Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 2, Kap. 15. Arzneimittel und Drogen im Straßenverkehr, C. III. 4. b) Rn. 59.

 

So lässt sich auch erklären, dass der entsprechende Wert von 1 ng THC/ml Blutserum aus dem Beschluss aus dem Jahr 2002 durch die Grenzwertkommission in ihrer Empfehlung im Jahr 2007 auch in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das diesem Wert eine Aussage zur Wirkgrenze entnahm, unverändert übernommen wurde.

 

Dementsprechend hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung zu dem durch die Grenzwertkommission zu § 24a Abs. 2 StVG festgelegten Grenzwert ausgeführt:

"Bei 1 ng THC/ml Blutserum handelt es ich um einen rein analytischen Wert. Die Analysemethoden könnten so verfeinert werden, dass auch ein niedrigerer Wert ermittelt werden könnte. Dies würde aber im Hinblick auf die Fragestellung keinen weiteren Sinn ergeben. Bei dem Wert von 1 ng/ml handelt es sich um eine Wirkgrenze in Bezug auf § 24a StVG. Der Wert von 1 ng/ml ist insoweit zu verstehen, dass bei dieser Menge die Möglichkeit einer Beeinträchtigung besteht, wie sie das Bundesverfassungsgericht zur verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes für erforderlich hält."

 

Eben diese Möglichkeit einer Beeinträchtigung ist aber in rechtlicher Hinsicht wie oben dargelegt auch für die Frage des Trennens von Cannabiskonsum und Fahren im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV maßgeblich. Der gelegentlich Cannabis konsumierende Autofahrer kann nach alledem nicht zwischen Konsum und Fahren hinreichend trennen, wenn er ein Kraftfahrzeug mit einer THC-Konzentration oberhalb eines Wertes von 1 ng/ml im Blutserum führt.

 

So in Kenntnis der Empfehlung der Grenzwertkommission bereits VG Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2015 - 4 L 3652/15 - und VG Münster, Beschluss vom 2. Dezember 2015 - 10 L 1391/15 -.

 

Dies gilt selbst dann, wenn zwischen dem Konsum und der Fahrt bereits mehrere Stunden liegen, die die Annahme nahelegen könnten, dass die Wirkungsdauer des Konsumierten nicht mehr fortbesteht.

 

Denn nicht ein bestimmter Zeitablauf zwischen Konsum und Fahren ist aus juristischer Sicht für das mangelnde Trennungsvermögen maßgeblich, sondern vielmehr - wie dargelegt - das Vorhandensein einer die Möglichkeit der verkehrsrelevanten Leistungseinbuße begründenden THC-Konzentration im Blutserum zum Zeitpunkt des Fahrens.

 

Eine Erhöhung des Wertes ist auch im Hinblick auf die ebenfalls in der Empfehlung der Grenzwertkommission thematisierte Erforderlichkeit eines Sicherheitszuschlages nicht geboten. Begründet wird dieser mit den bei der konkreten Ermittlung des THC-Wertes einer einzelnen Blutprobe bestehenden Messwertschwankungen.

 

Die entsprechende Passage in der Empfehlung lautet:

"In empirischen Studien ist eine rechnerische Korrektur der Werte nicht erforderlich, da sich die Unsicherheiten der Einzelmessungen bei einer Gesamtbetrachtung der Daten herausmitteln. Um dagegen bei einer konkreten Einzelmessung eine Benachteiligung zu vermeiden, wäre eine Messwertschwankung von maximal 30% zu berücksichtigen. Ein nach Studienlage bestimmter Grenzwert müsste daher mit einem entsprechenden Sicherheitszuschlag belegt werden (Beispiel: nimmt man den obigen Wert von 2,0 ng THC/ml Blutserum an, so ergäbe sich rein rechnerisch eine Entscheidungsgrenze von 2,86 ng THC/ml Blutserum)."

Der Sachverständige hat dazu in der mündlichen Verhandlung ergänzend ausgeführt:

"Der Sicherheitszuschlag von 30 % wird empfohlen, weil eine individuelle Blutprobe, in einem einzigen Labor untersucht, mit einer Messungenauigkeit von 30 % versehen ist. Dies führt dazu, dass erst ab einer gemessenen Konzentration von 2,86 ng/ml mit Sicherheit gesagt werden kann, dass derjenige, dem die Blutprobe entnommen wurde, eine Konzentration von mindestens 2,0 ng THC/ml Blutserum hatte."

Eine Alternative wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen, die individuellen Messunsicherheiten des jeweiligen Labors abzuziehen.

Insofern handelt es sich bei der Frage, zu wessen Lasten entsprechende - auch bei lege artis nach den Regeln der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie ermittelten Messwerten unvermeidbare - Messunsicherheiten gehen müssen, nicht um eine naturwissenschaftliche, sondern um eine wertende, originär juristische Fragestellung, die aufgrund des Normzwecks der jeweiligen Vorschrift zu beantworten ist.

Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3/13 - ausgeführt:

"Bei der Frage, ob solche Messungenauigkeiten einen "Sicherheitsabschlag" erforderlich machen, handelt es sich nicht anders als bei der Bestimmung des Gefährdungsmaßstabes um eine Frage der Risikozurechnung. Es geht darum, ob die verbleibende Ungewissheit, dass der "wahre" THC Wert nicht an der unteren sondern ebenso an der oberen Grenze dieser Schwankungsbreite liegen kann, von dem Cannabiskonsumenten, der sich nach dem Rauschmittelkonsum an das Steuer eines Kraftfahrzeugs selbst, oder aber von den anderen Verkehrsteilnehmern zu tragen ist. Da der Cannabiskonsument den Gefährdungstatbestand schafft, liegt es auf der Hand, dass die verbleibende Unsicherheit zu seinen Lasten gehen muss. Angesichts der Zielrichtung des Fahrerlaubnisrechts, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten und Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer soweit wie möglich auszuschließen, liegt in dieser Risikozuordnung eine verhältnismäßige Beschränkung seiner Rechte.

 

Unabhängig davon darf nicht übersehen werden, dass die bei der Untersuchung von Blutproben nicht zu vermeidenden Messungenauigkeiten bereits bei der Festsetzung der analytischen Grenzwerte berücksichtigt worden sind, die die Grenzwertkommission in Bezug auf die in der Anlage zu § 24a StVG aufgeführten Liste der berauschenden Mittel und Substanzen vorgenommen hat. Im Beschluss der Grenzwertkommission vom 22. Mai 2007 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Grenzwerte einen Sicherheitszuschlag enthalten (Blutalk 2007, 311).

Verbleibende Schwankungsbreiten selbst bei lege artis erfolgenden THC-Messungen müssen auch nicht nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zu Gunsten des Betroffenen gehen und deshalb zu einem Sicherheitsabschlag führen. Dieser für eine strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Ahndung geltende Grundsatz kommt im Gefahrenabwehrrecht, dem die Fahrerlaubnis-Verordnung zuzurechnen ist, schon wegen dessen anderer Zielrichtung nicht zur Anwendung. Selbst für die strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Ahndung von Fahrten unter Cannabiseinfluss geht die Rechtsprechung im Übrigen davon aus, dass der gemessene THC-Wert nicht um einen Sicherheitsabschlag zu verringern ist (...)."

Diesen Ausführungen, die in Übereinstimmung mit der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen stehen, schließt sich die erkennende Kammer vollumfänglich an.

 

Hinzu kommt die Überlegung, dass üblicherweise in der Zeit zwischen der Beendigung der Fahrt durch eine Polizeikontrolle und der Blutentnahme - und erst Recht zwischen dem eigentlich relevanten Fahrtantritt und der Blutentnahme - eine deutliche Verringerung der THC-Messwerte eintritt. Wenngleich der Substanzabbau bei Cannabis im jeweiligen Einzelfall nicht konkret berechnet werden kann, steht doch außer Frage, dass er stattfindet und sich zugunsten des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers auswirkt. Soweit sich die Messungenauigkeiten zu Lasten des Betroffenen auswirken, wird dies durch diesen Umstand jedenfalls in gewissem Umfang wieder relativiert.

 

Nach alledem hat der Kläger durch seine Fahrt unter Cannabiseinfluss am 28. September 2014 belegt, dass er nach dem vorgenannten Maßstab nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen kann. Dass der Kläger unter der Wirkung von Cannabis ein Fahrzeug geführt hat, folgt aus dem rechtsmedizinischen Gutachten vom 28. Oktober 2014, aus dem sich ergibt, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Blutentnahme am 28. September 2014 unter THC-Einfluss stand. Das toxikologische Gutachten hat für die dem Kläger entnommene Blutprobe eine THC-Konzentration von 1,1 ng/ml Blutserum ergeben.

 

Zwar gelten die in der Anlage 4 zur FeV vorgenommenen Bewertungen nach Maßgabe der Vorbemerkung Nr. 3 Satz 1 (nur) für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen sind möglich (Nr. 3 Satz 2 der Vorbemerkung zu Anlage 4). Dabei obliegt es im Einzelfall dem Rechtsschutzsuchenden, solche Tatsachen geltend zu machen.

Atypische Umstände in der Person des Klägers, die ein Abweichen von der normativen Regelfallannahme der Nichteignung begründen könnten, sind vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Für eine Wiedererlangung der Fahreignung im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides ist nichts ersichtlich. Der nachgewiesene Abstinenzzeitraum muss hinreichend lang sein. Des Weiteren ist ein Nachweis notwendig, dass eine hinreichend stabile Verhaltensänderung eingetreten ist und daher für die Folgezeit eine günstige Prognose getroffen werden kann.

 

Hier fehlt es schon an einem Nachweis über einen hinreichend langen Abstinenzzeitraum vor dem Erlass der Ordnungsverfügung.

Ein Ermessen stand der Beklagten gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG nicht zu, sodass entsprechende Erwägungen zu Recht unterblieben sind.

Die in dem Bescheid enthaltene Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG. Die zugehörige Zwangsgeldandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die Festsetzungen der Gebühren und Auslagen sind ebenfalls rechtmäßig. Die Gebührenfestsetzung findet ihre Grundlage in § 6a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StVG i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Die Verwaltungsgebühr in Höhe von 100,00 € hält sich in dem von § 1 Abs. 1 GebOSt i.V.m. Nr. 206 der Anlage zu § 1 GebOSt gesetzten Rahmen von 33,20 € bis 256,00 €. Für die Meldung an das Zentrale Fahrerlaubnisregister konnte nach Nr. 126.2 der Anlage zu § 1 GebOSt 1,00 € angesetzt werden. Die Auslagen in Form von Zustellkosten in Höhe von 3,45 € sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt von dem Kläger zu tragen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Absatz 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Rechtsanwältin

Simone Fischer

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